Ein Koffer voller Träume
Eine biografische Erzählung
Gelegentlich muss man sich von Dingen trennen, die man eigentlich nicht mehr braucht, oder nie brauchte, die man sich aber irgendwann einmal anschaffte, weil man der irrigen Meinung war, sie vielleicht einmal brauchen zu können. Sortiert man nicht gelegentlich aus, platzt das Haus aus allen Nähten und man muss sich irgendwann überlegen, ob man nicht eine Lagerhalle anmietet. Als Anlass, um solche Wegwerf-Entscheidungen zu treffen, eignet sich zum Beispiel ganz hervorragend der bevorstehende 60ste Geburtstag, weil dieses Datum wie eine Zäsur für das Leben ist. 60 zu werden, markiert den Übergang vom älteren Mann reiferen Alters zum alten Mann. Das bedeutet, man ist dann wirklich so alt, wie man sich morgens direkt nach dem Aufstehen fühlt, wenn man die 20 Schritte vom Bett zur Kaffeemaschine zurücklegt und sich dabei vorkommt, als würde man die komplette Entwicklung des aufrechten Gangs des Homo Sapiens durchlaufen.
Sperrige Gegenstände, wie zum Beispiel längst nicht mehr benutzte Rennräder, mit denen man in den letzten 15 Jahren keinen einzigen Meter mehr fuhr, eignen sich hervorragend, um Platz zu schaffen und sich vor allem von dem schlechten Gewissen zu befreien, das man jedes Mal beim Anblick jenes Rades hat, mit dem man einst ein paar tausend Kilometer fuhr und fit wie der sprichwörtliche Fahrradschuh war. Aber um an das Rennrad heranzukommen, das sperrig und Platz verschwendend auf dem Zwischenboden in der Garage liegt, muss ich erstmal jenen großen uralten Koffer aus dem Weg räumen, der sich seit dem Beginn meiner Lehre in 1978 in meinem Besitz befindet und der mit Erinnerungsstücken bis in jene Zeit vollgestopft ist, als es mich damals vor 27 Jahren ins Rheinland zog. Und der Koffer wurde seit 27 Jahren nicht mehr geöffnet und was ich in 27 Jahren nicht vermisste, oder nicht benötigte, werde ich schwerlich auch in den kommenden Jahren vermissen. Anstatt mein altes Rennrad einer Alternativverwendung zuzuführen, widme ich mich wenige Tage vor meinem 60sten Geburtstag diesem uralten Gepäckstück. Das ist vollgestopft, mit allerlei unnützem Kram, Erinnerungsstücken, Fotoalben, Schnellheftern und anderem Zeug, das sich in meinem Leben ansammelte, seit ich den Koffer im Herbst 1978 mehr oder weniger von einem alten Mann als leeres, aber dreckiges und stinkendes Gepäckstück geschenkt bekam. Dieser Koffer enthält alle Sehnsüchte, Hoffnungen, Fehlschläge und Rückschläge jenes jungen Mannes, der ich einst war. Es ist im Prinzip ein Koffer voller Träume, von denen die meisten in Erfüllung gingen.
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